Abschied

von der FR

am 25. August 00

im Alten Bahnhof Bonn/Oberkassel

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freundinnen und Freunde. Ich heiße Euch alle herzlich willkommen. Dies ist der Versuch einer Rede zur motorischen und neuropsychchologischen Rehabilitation. Eine Krankengymnastik und ein Hirnleistungstraining. Nicht mehr als ein Training. Wer hat schon geahnt, daß auch Hirnmasse zu unserem Job gehört! Gewissermaßen seid Ihr also meine Sparringspartner im Ring. Fehlen nur noch die Fausthandschuhe!

Warum ausgerechnet Ihr? Ich habe mir lange Zeit die Form meines Abschieds überlegt. Ob und überhaupt und wenn dann wie? Das beginnt schon bei der Einladungsliste. In Eurem Kreise habe ich mich über die Jahre immer am wohlsten - weil verstanden - gefühlt. Das waren immerhin über drei Jahrzehnte. Eine lange Zeit! Eine zu lange Zeit, wie mir Claudia einreden will. Für sie - und für Michael - habe ich den beschwerlichen Weg zur Gesundung auf mich genommen. Beiden widme ich auch dessen Fortsetzung.

Über die Studentenbewegung bin ich auf die FR aufmerksam geworden. Das war 64/65. An der FU war sie überhaupt DIE ZEITUNG! In Berlin hat Springer regiert. Für mich galten andere Vorbilder. Eher Leute wie KHF (Karl-Hermann Flach) und P.M. (Peter Miska) haben damals schon Zivilcourage bewiesen bei den Themen, die uns umgetrieben haben. Wir wollten endlich mit dem Thema „Gerechtigkeit“ ernst machen. Zischen Nord und Süd, Ost und West, Alt und Jung, Frau und Mann. Allen voran Vietnam, die Notstandsgesetze und die Große Koalition haben unsereins bis zur Amnestie von Heinemann getrieben. Die Abdankung des Dollars und die 0,7%-Verteilungsfrage in der Entwicklungshilfe fielen sogar in meinen Bereich. Das war die Zeit, da Karl Gerold einem Jungredakteur mit dem Kürzel rds eingeschrieben die fristlose Kündigung zukommen ließ, weil der angeblich eine rote Zelle in seiner Wirtschaftredaktion bilden wollte. Den Anspruch der „Redaktionsstatute“ hatte ich wohl etwas mißverstanden.

„Nur Gefeuerte haben Aufstiegschancen“, hieß es damals , und ein gewisser „rr“ hielt mir die Stange, als ich mit dem Jahresablauf 71 nach Bonn fortgelobt worden bin.

Große Themen lagen dort gewissermaßen auf der Straße: Radikalenerlaß, Ölkrise, Mitbestimmung, „Reaganomics“ und „Thatcherismus“ und die „Kohlära“ (sprich: Cholera), Angebotspolitik vs. Nachfragesteuerung hatten schon so etwas wie Glaubenskriege an sich, die auf Weltwirtschaftsgipfeln zu lösen waren. Und immer wieder im internationalen Wettlauf die Steuerreform. Nur noch Wohlhabende konnten sich einen armen Staat leisten!! Der Kapitalismus hatte gewonnen. Aber hat er auch gesiegt? Und wo bleibt da Bewegungsraum für unsere „unverwechselbare“ FR? Information, nicht Infotainment.

Dann kam mit der deutschen Einheit das „Ende der Geschichte“ . Der Umzug nach Berlin steht wie ein Symbol. Man hatte mir meine Bonner Republik genommen. Mit einem Male war ich so etwas wie ein Staatenloser. Ich war wie vom Schlag gerührt. Der Schlag hatte mich gerührt. Nun hat Reserve endlich Ruh`.

 

P.S. Claudia fragt an dieser Stelle: Und wo bleibt das Positive, Herr Kästner? Ja, zum Teufel: Wo bleibt es denn? Ihr antworte ich: Schaun-ma-ma! Das Leben hat noch ein 3. Drittel. Wie beim Eishockey ist der Ausgang völlig offen. Vielleicht reicht es noch für einen Sieg. Der müßte dann aber über mich selber sein!!