Statt einer Einleitung

,,Wie kannst Du nur...!" lautete einer der noch mildesten Vorwürfe, die ich zu hören bekam, weil ich an diesem Buch nach dem ,,unheimlich starken Abgang" des Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Klaus Murmann, gerne mitgearbeitet habe. Instrumentalisiert werden würde ich als kritischer, links- liberaler Zeitzeuge vom mächtigsten Verbandsfürsten der Republik. Mißbraucht als Alibi für die doch nie dagewesene Offenheit eines Machtkartells der Restauration, das die Entwicklung in Deutschland - erst recht nach dessen staatlicher Einheit - wieder auf die Zustände der Jahrhundertwende zurückdrehen möchte. Also:,,Ein linker Narr am Hof der Mächtigen?"

Man kann es so sehen. Man kann es aber auch anders sehen als nach diesen üblichen Kriterien des eingefahrenen Lager-Denkens. Wenn schon. Mit dem platten Freund- Feind-Schema, der bevorzugten Umgangsart zwischen Parteien und Verbänden, gibt es auch kein Fortkommen aus der gesellschaftlichen Sackgasse - drei Jahrhunderte nach der Aufklärung. Journalisten haben da vielleicht noch eine der vorteilhaftesten Positionen beim Turmbau zu Babel von Kapital und Arbeit - wenn sie eben nicht ihre Aufgabe so verstehen, wie sie der italienische Sozialrevolutionär Antonio Gramsci in seinen „Gefängnis-Briefen'' Mitte der 20er Jahre. Er hatte der „mittleren Intelligenz" der bürgerlichen Gesellschalft zugeschrieben als „Treibriemen zu dienen zwischen den Interessen der Herrschenden zur Verrnittlung an das gemeine Volk".

Der im Streit mit einem der anderen Mächtigen an der Spitze der deutschen Industrie aus dem Amte geschiedene Arbeitgeberpräsident hat überdies auch noch unfreiwillig bewiesen, daß nicht immer der das Sagen hat, der den Ton angibt. Faire Verlierer gibt es offenbar nicht immer nur ganz unten an der Basis der gesellschaftlichen Machtpyramide.

Ich jedenfalls habe Klaus Murmann in den zehn Jahren seiner Präsidentschaft an der Spitze der Bundesvereinigung stets als eine der selten gewordenen Spezies „da oben" ken-nen- und schätzengelernt, der auch noch zuhören kann. Und dessen Lager-Denken immerhin nicht so stark ausgeprägt ist, daß sich ein Streit überhaupt nicht mehr lohnt, wie so oft in der Isolation des strenggläubigen rechten und linken F1ügels des gesellschalftspolitischen Spektrums. „Streitkultur" zählt ja auch zur untergegangenen Epoche unseres ,,postmodernen" Umgangs miteinander, denn mittlerweile finden im Zeitalter der Politik als Fortsetzung des Entertainments nach den Maßstäben von Einschaltquoten Auseinandersetzungen nur noch statt, wenn sie sich lohnen - für den Geldgeber.

Diese Rückbesinnung von drei um gemeinsame Sprache bemühten Gesprächspartnern auf so aus der Mode geratene Werte, nämlich aufeinander zu hören, dazuzulernen und zu parieren - also standzuhalten statt zu flüchten - hat das lange Gespräch für mich zum Gewinn gemacht, und ich hoffe, die Lektüre kann das für die Leser später auch. Dafür Gebührt nicht zuletzt der Dank meinem Fragepartner in diesem ,,Kreuzfeuergespräch", Rainer Hank. Wo hat man denn heutzutage noch Geduld, Zeit und Gelegenheit, nach- zufragen, wenn etwas unklar geblieben ist, nachzuhaken, wenn ausgewichen wird, nachzusetzen, wenn Widersprüche im Raume bleiben? Oft genug mußte deshalb das Objekt unserer journalistischen Neugier, Klaus Murmann, seinerseits vermittelnd eingreifen und sich auf einen unge wohnten Rollentausch einlassen, wenn sich seine Gegenüber in der Stoßrichtung ihrer Vorhaltungen über Kreuz lagen. Eigentlich auch kein Wunder, wenn es um so umstrittene Themen geht wie die Zukunft unseres Wachstumsdenkens, die Perspektiven von ,,reifen" Volkswirt- schaften in einer immer kleiner werdenden Welt der Globalisierung, die Entwicklung des Verbändestaates und das Kräftemessen der immer so gerne „Tarifpartner" genannten Kombatanten im Verteilungskampf von Kapital und Arbeit.

Deshalb geht unser Gespräch auch weit über die Bedeutung eines einzelnen ,,Machthabers" unseres Verbändestaates hinaus, dessen Truppen in der Wirtschalftslobby inzwischen ohnehin auf einen neuen Feldherrn hören. Es greift Zukunftsfragen auf, mit denen sich unsere Kinder und Kindeskinder werden herumschlagen müssen. Hoffentlich friedlich, versteht sich...

 

Rolf Dietrich Schwartz