Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 12. Oktober 1996

Sparen wir uns zu Tode?

In den USA werden die Gelehrtenstimen lauter, die vor dem amerikanichen Wirtschaftsmodell warnen. Den Mittelstand beschleicht die Angst vor der Armut. In den Städten werden die Reichen reicher, die Armen ärmer. Wohlhahende ziehen sich in bewachte Ghettos zurück. Vollzeitjobs reichen bei immer mehr Familien nicht zur Deckung des Lebensunterhalts' aus. Und das flache Land vermittelt den Eindruck großer Bescheidenheit. Deutschland ist nicht Amerika - oder doch? Der Bonner Wirtschaftskorrespondent Rolf Dietrich Schwartz hat jetzt in seinem Buch ,,Kapitalismus ohne Netz" jenes Thema für Deutschland untersucht, das in den Vereinigten Staaten von Amerika immerhin den Vorwahlkampf geprägt hatte. Schwartz stützt sich auf die offiziellen Wirtschaftsdaten der deutschen Regierung und der Sachverständigen, und er nimmt ihre Ankündigungen beim Wort: Es muß gespart werden, dann geht es wieder auf wärts. Frei von jedem Wirtschaftschinesisch belegt der Autor mit Aussagen der "herrschenden Lehre", daß mittlerweile ein Dutzend Spargesetze - immer bei der Unterschicht - die Lage nicht zu bessern vermocht hat, sondem daß die Krise sogar noch tiefer geworden ist. Beklemmend ist dabei vor allem der Rückblick auf die Weltwirtschaftskrise von 1930, als die deutsche Industre krisenverschärfend Kürzungen der zu hohen Löhne, Steuern und Sozialabgaben mit Worten verlangte, die genauso die jetzige Standortdebatte beherrschen. Wer kein Geld hat, kann sich nichts kaufen. Wer Geld hat, kauft sich nichts mehr, so lautet die Kernthese des Buches. Die Binnenkonjunktur wird sträflich vemachlässigt, weil der Staat auf große Einnahmen von den Wohlhabenden verzichtet, etwa durch eine Senkung der Unternehmensteuern oder durch Wegschauen bei der Steuerhinterziehung. Die Warnungen deutscher Philosophen vor der zunehmend ,,vermachteten" Gesellschaft auch vor der Macht der Informationskontrolle über wirtschaftliche Folgen des Sparkurses bei den ,,Wenigerverdienenden" - untermauert Schwartz aus der Sicht des Wirtschaftlers. Ein lesenswertes Buch, das sehr nachdenklich stimmt.

Bernd Knebel